November

Es ist kalt geworden auf der Geltinger Birk. Die Äcker sind kahl, der Himmel stahlgrau und das Meer rüttelt an den Deichen. Wir erleben die Landschaft zum ersten Mal ohne saftig-grüne Blätter an den Bäumen, ohne blühendes Jakobskreuzkraut und schwer herabhängende Äpfel.

Die Koniks werden plüschig und die Mücken weniger. Vor der Station liegen große Laubhaufen und am Strand Unmengen von Steinen, Muscheln und Schnecken, die wir fleißig aufsammeln.

Bevor wir es richtig begreifen konnten, ist der November da.

Nachdem wir vom Seminar zurückkamen, begrüßte er uns mit Sturmfluten, wunderschönen Sonnenuntergängen und eisigen Regenschauern, die vom Nacken bis in die Gummistiefel laufen.  

Er brachte die Dunkelheit, den ersten Geruch von Tannengrün und verwandelt die einst staubigen Pisten der Birk in wunderbar schlammige Rutschbahnen, in denen Autos sowie Menschen nur allzu gern wegrutschen oder stecken bleiben. Er kriecht dir in den Nacken, wenn du abends in der Dämmerung auf dem Deich entlangläufst, schlägt dir ins Gesicht, wenn du aus dem Pick-Up aussteigst und rinnt dir unter den vielen Pulli-Schichten über die Haut, wenn du stundenlang im Regen mit dem Hochdruckreiniger zugange bist.

Er verwandelt alles in ein Aquarell aus Grau und Brauntönen, Ocker und Dunkelgrün und klingt nach dem Muhen der Galloways, dem trägen Schlagen der Flügel einer einsamen Gans und dem Dröhnen von Kettensägen in der neuen Plantage.

Ja, der November endet wie er begonnen hat: Mit viel Besuch und Aufräumarbeiten.

Die Woche nach unserem Seminar (der Woche, in der Johanna nicht da war), begann für mich mit einer spannenden Aktion: Ich hatte den Auftrag, eine kleine, isolierte Konikherde (fünf Junghengste, eine Stute und ein Fohlen) von der einen Seite der Fanganlage zur anderen zu bringen. Nachdem ich sie dann endlich gefunden hatte, hütete ich sie langsam in die richtige Richtung. Mit etwas Überzeugungsarbeit lief alles entspannt und glatt – wenn auch sehr langsam – ab und ich war ein bisschen stolz, das so geschafft zu haben!

In dieser Woche waren dann drei ehemalige FÖJlerinnen, meine Eltern und mein Bruder zu Besuch. Nach zwei Wochen, in denen wir keinen einzigen Tag mit den Jungs zusammen gearbeitet haben, freute ich mich total drauf, endlich mit ihnen durchstarten zu können! Ich absolvierte einen vollen Tag lang eine neue Art des Freiwilligendienstes: Das FAJ (Freiwilliges Archäologisches Jahr), als ich in Gammeldamm mit Spaten, Hammer und Maurerkelle ein Geflecht aus Drainagerohren, Kabeln und Wurzeln freizulegen versuchte. Unterbrochen von diversen Regenschauern, volllaufenden Gruben, Kaffeepausen und dem ein oder anderen Geburtstagsständchen ackerten wir wie kleine Maulwürfe in der Erde (mit Ausnahme von Üwi, der wie der Maulwurfskönig auf dem Bagger saß und sich nur ab und zu von seinem Thron hinab in die Erde begab, um die Arbeit seiner Untertanen zu begutachten).

Bewaffnet mit einem Schlagbohrer ohne Schlag und Hammer und Meißel versuchten wir dann, halb kniend, halb liegend, viele kleine Löcher in einen ungefähr 10 cm dicken Betonschacht zu bohren, um die Rohre durch die dadurch entstehenden großen Löcher zu schieben und danach wieder einzubetonieren.

Ich bin immer wieder überrascht, wie eigentlich doch so frustrierende Arbeiten so viel Spaß machen können… dass mir das wirklich sehr gefallen hat, dürfte ja spätestens das Foto unter dem Blog beweisen!

Am besten fand ich aber, wie ich das Projekt zum Schluss beenden durfte: Mit einer neuen, atemberaubend tollen Maschine: DEM RÜTTLER!  

Dieser kam zum Einsatz, nachdem wir die offenen Gräben wieder zugeschüttet und die großen Vulkane aus Grant (einem Sand-Kies-Gemisch) in denen ich mir ein perfektes Nest gebaut hatte, ordentlich auf der Fläche verteilt hatten. Er ist dazu da, die Fläche zu befestigen, indem er in einer sehr hohen Frequenz Rüttelbewegungen auf den Boden überträgt.

Am Wochenende danach war ich mit Steffi in Haithabu und aß dort mein erstes Mandelhörnchen, das mich auch prompt eine Wette gewinnen ließ – aber keine Sorge, in diesem Monat wurden einige Wetteinsätze eingelöst, die für mich mit vielen kostenlosen Portionen Pommes endeten (was kann ich denn dafür, dass ich die Wetten immer gewinne…?)

Tauschgeschäfte, Funkgeräte und Holztransporte prägten die folgende Tage und wir verbrachten nicht wenig Zeit damit, Holz kunstvoll in Gammeldamm aufzuschichten, eingewachsene (und dazu noch eingemulchte!) Zäune zu demontieren, die perfekte Schaufel-Technik zu erlernen (und festzustellen, dass sie nicht für alle Menschen gleich ist) und eine Schlammpiste in einen wunderbar trockenen und ordentlich festgerüttelten Weg zu verwandeln (wer in der nächsten Zeit mal den Kutsch- und Reitweg entlangspaziert, kann ihn gern mal begutachten).

Mit dabei war diesmal auch Birte, eine FÖJlerin aus dem Jahrgang 2018/19, die fleißig eine ganze Woche mitarbeitete und sich für uns wie eine dritte Mitbewohnerin anfühlte. Wir waren sehr froh, dass sie Ende des Monats nochmal für eine Woche zu Besuch kam… aber dazu später mehr!

Die Tage vor dem 11. November vergingen im Flug und dann war es soweit – die große Einfangaktion stand bevor! Dafür wurden die Koniks so entspannt wie möglich in die Fanganlage gelotst. Ordentlich aufgereiht bekamen sie dann eine Laufnummer, ihr Chip wurde ausgelesen, Geschlecht und Chipnummer und Laufnummer protokolliert, und ein Portraitfoto gemacht. Die Fohlen bekamen eine Wurmkur, einen Chip und (ganz wichtig!) einen Namen, was unter den Anwesenden für viel Spaß und Kopfzerbrechen sorgte.

Nun laufen neben Juno, Charlie und Cosimo auch Gandalf, Nima und Shotty über die Birk und wir freuen uns, dass wir endlich mehr Namen kennen!

Ein Grund zur Freude war auch die Lösung eines Rätsels, das wir im August sowohl den Jungs, als auch den beiden FÖJlerinnen der Stiftung Naturschutz gestellt hatten – Üwi, Jule und Ronja wissen jetzt, wohin der rote Punkt geht, Steffi und Tommi allerdings immer noch nicht… also: JUNGS, WOHIN GEHT DER ROTE PUNKT?

Während Johanna am Wochenende mit einer Freundin aus der Seminargruppe die Latin-Dance-Night, auf die sie schon Wochen vorher hingefiebert hatte und die in den Räumen eines Restaurants in der Nähe stattfand, unsicher machte, verbrachte ich fast das komplette Wochenende bei den Koniks, lernte fleißig Namen und genoss die herbstliche Ruhe an der Lagune.

Wenige Tage später drehte der Wind und wir erlebten unsere erste richtige Sturmflut… oder wie Nils sagen würde: Ein bisschen Wind. Zeugen dessen waren ein angespülter Steg, eine kaputte Brille und Wellen, die bis über die Deichkrone schlugen – wunderschön!

Nun ja, zumindest wenn man nicht gerade zu genau diesem Zeitpunkt einen Teil des östlichen Außenzauns öffnen und versetzen müsste. Dabei hatten wir dann nämlich teilweise ganz schön zu kämpfen. Autotüren, die einfach nicht richtig zugehen wollen; Eimer, die frecherweise in Höchstgeschwindigkeit über den Deich kullern und Tommis, die wuschig vom Wind die Makierungen an den Pfählen drei Mal korrigieren…

Wir rammten Pfähle in die Erde (oder gruben sie ein), schlugen Krampen ein, schraubten Isolatoren an, zogen Glattdraht und flogen das ein oder andere Mal beinahe weg.

Nach 24 Stunden stand der Zaun dann jedenfalls und alles war bereit für die Ankunft einer ganz besonderen neuen Attraktion auf der Birk, auf die sich besonders Steffi schon lange gefreut hat: Komposttoiletten von Goldeimer! Diese wurden mittlerweile im Abstand von jeweils 2 km am Außendeich aufgestellt, sind aber noch nicht betriebsbereit und deshalb momentan noch abgesperrt.

Oh, mir fällt gerade etwas ganz Wichtiges auf: Von unserer Haupttätigkeit diesen Monat habe ich noch gar nicht berichtet! Wir sind momentan dabei, die neue Plantage zu fällen, eine Baumgruppe in der Nähe des Hauptentwässerungsgrabens. Die meisten Bäume sind bereits durch einen zu hohen Salzgehalt im Wasser abgestorben, was die ganze Angelegenheit natürlich noch ein Stück gefährlicher macht – bei Totholz sollte man echt aufpassen.

Ausgestattet mit vier Kettensägen, Fällheber, Sprit, Keilen und Spalthämmern und dem Schlepper mit Seilwinde begannen wir dann mit der Arbeit. Man munkelt, dass am ersten Tag nach 30 Minuten nur noch eine der vier Sägen funktionierte, ich halte das aber für ein wildes Gerücht und werde daher nicht weiter darauf eingehen.

An dieser Stelle möchte ich einmal dir, Üwi, danken, dass du mir mit so viel Vertrauen und Geduld die Seilwinde erklärt hast und mich damit hast arbeiten lassen. Ich bin sehr begeistert davon und habe festgestellt, dass ich noch lieber Bäume rücke, als sie zu fällen.

Während Üwi und ich die Bäume also durch das Stubben-Labyrinth schlängelten, stand für Johanna endlich der Motorsägen-Lehrgang an. Zusammen mit Micha und Daniel, dem Bundesfreiwilligen aus Holnis lernte sie direkt in der neuen Plantage alles, was man über Fälltechniken, die Pflege der Säge und mögliche Probleme wissen muss.

An der Stelle möchte ich einmal erwähnen, dass die Zeit, die wir hier verbringen dürfen, nicht ansatzweise so erfüllend, lehrreich und lustig wäre, wenn es die Jungs nicht gäbe. Wir sind total froh, dass sie uns alles zeigen, erklären und machen lassen und uns trotz unserer verrückten Ideen und Streiche vertrauen. Sie ermöglichen uns so vieles, was wir ohne sie nie erleben oder schaffen würden. Ihr seid die Besten!

So, dass musste jetzt auch mal schriftlich festgehalten werden.

Und wo wir gerade von Möglichkeiten sprechen: Wir hatten an einem der November-Wochenenden die Möglichkeit, Steffi zu zwei Einsätzen als Wolfsbetreuer zu begleiten. Wir fuhren bis zur Treene, um dort einen Schafsriss zu begutachten, Proben zu nehmen und Fotos zu machen. Danach brachten den Schafskörper und die beschrifteten Proben nach Neumünster, wo sie auf DNA-Spuren untersucht wurden. Mittlerweile hat sie herausgestellt: Ja, es war ein Wolf.

Am Tag darauf begleitete ich Steffi erneut (diesmal ohne Johanna, die leider gerade im Meer schwimmen war, als wir losfahren wollten) wieder zur Treene - allerdings zu einem anderen Schäfer. Wie sich herausstellte waren bei dem Schäfer vom Tag vorher allerdings wieder Schafe gerissen worden und so fuhren wir auch noch einmal zu ihm. Nachdem wir dann wieder zwei tote Schafe und viele Proben in Neumünster abgegeben hatten und in einer Straße in Schleswig herumgeirrt waren, die dem Ligusterweg aus Harry Potter nicht unähnlich sah, wollten wir uns zum Abschluss dieses turbulenten Sonntages noch eine Currywurst Pommes gönnen. Als auf dem Weg zur Station dann allerdings noch ein Pferd mitten auf der Straße stand, war auch das erstmal vergessen.

Dass genau dieses Pferd den Zaun von Nils Böcken kaputt gemacht hatte, erfuhren wir erst, als Nils uns, nachdem er seine Böcke von irgendeinem Feld wieder aufgesammelt hatte, fragte, ob wir zufällig etwas von einem entlaufenden Pferd gehört hätten – eine typische ISGB-Geschichte!

Als wäre das nicht genug Fahrerei für die nächste Zeit gewesen, fuhren wir am Montag danach nach Mölln an die Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Dort fand nämlich ein großangelegter Einsatz aller Integrierten Stationen statt, bei dem wir alle gemeinsam eine Heidefläche entkusselten – hach, war das eine schöne Kulisse! Der Kiefernwald und die gesamte offene Fläche waren weiß überfroren, der Himmel grau und ab und zu lugte die Sonne über den Baumwipfeln hervor.

Beim Entkusseln geht es darum, offene Flächen wie Heide oder Moor von jungen Gehölzen zu befreien um sicherzustellen, dass sie auch in Zukunft offen bleiben. Während Tommi entschlossen mit der Kettensäge auf die jungen Kiefern losging, Steffi mit dem Freischneider am Horizont verschwand (wahrscheinlich wollte er sich die alte innerdeutsche Grenze anschauen) und Üwi und ich mit Heckenscheren auf die kleinen grünen Biester losgingen, die – kaum hatten wir sie abgeschnitten – schon wieder hinter unseren Rücken aus der Erde herauswuchsen, stapelte Johanna wie eine Weltmeisterin lange Reihen von abgeschnittenen Kiefern übereinander, damit diese später einfacher geschreddert werden können. Bei dieser Aktion fanden wir einen Mini-Weihnachtsbaum für unsere Wohnung, staubten eine ordentliche Portion Kartoffelsuppe ab und tauschten uns mit anderen FÖJis aus, die ebenfalls viel Interessantes über ihre Einsatzstellen erzählen konnten.

Die Rückfahrt mit den Jungs, bei der wir die Känguru-Offenbarung hörten und Tommi das ein oder andere Mal daran erinnern mussten, dass der Bus auch einen sechsten Gang hat, erinnerte mehr an einen chaotischen Familienausflug als an eine Dienstfahrt ;)

Als wir dann am ersten Adventswochenende die erste Kerze an Johannas selbstgemachten Adventskranz anzündeten, begannen dann die Weihnachtsgefühle mit uns durchzugehen. Wahrscheinlich lag das auch an der passenden musikalischen Untermalung durch Feliz Navidad

Den Sonnenaufgang am Meer anschauen und dabei frühstücken – das hatten wir sowieso viel zu lange nicht mehr gemacht! Gesagt, getan saßen wir mit einer warmen Schüssel Grießbrei am Strand und durften sogar ein wildes Möwenspektakel am Leuchtturm bewundern.

 Den restlichen Tag verbrachten wir damit, mit anderen Leuten aus dem Dorf einen Weihnachtsbaum aufzustellen, der dem schiefen Turm von Pisa Konkurrenz macht. Und nicht nur dass, er ist auch noch viel schöner und deutlich nahrhafter, es handelt sich nämlich um einen Futterbaum!

Durch dorftypische Zufälle trafen wir dann noch die halbe Welt (Gott allerdings nicht), hielten den einen oder anderen Schnack und beobachteten die SeaWatch 3, als sie am Horizont Richtung Flensburg vorbeifuhr. Ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt in Gelting durfte an diesem hyperweihnachtlichen Tag natürlich nicht fehlen. Johanna gewann dort sogar ein Hanuta für Steffi bei der Tombola… nur weiß er bis heute nichts von seinem Glück ;)

Ja, und schwupps hatte der November schon wieder graue Haare, Birte war wieder da und wohnte bei uns in der WG und wir verbrachten die Abende mit dem Basteln von Papiersternen (von denen einige danach wunderlicher Weise überall in der Station auftauchten) und wilden Tanzeinlagen zu noch wilderen Liedern. Geputzt wurde auch gründlichst, am 1. Dezember stand nämlich hoher Besuch an!

Als kleiner Cliffhänger verrate ich aber noch nicht, wer hier war – nur so viel: Der Besuch war wirklich goldig!

Die Station glänzte danach so sehr, dass es uns fast blendete! Wir haben die gehakte Kiesfläche, die sauberen Beete und geschrubbten Wege und Fenster kaum wiedererkannt.

Und dann brach der letzte Monat dieses Jahres an, brachte neue Spitznamen und Haarschnitte und noch mehr Haufen – aber darüber wird Johanna im nächsten Blog bestimmt genaustens berichten :)

Ich wünsche euch allen eine wundervolle Weihnachtszeit und ein schönes restliches Jahr! Genießt die Farben, Gerüche und Geräusche des Dezembers, wir hören (naja, lesen) uns im nächsten Jahr.